Musik, aus der Hölle in dein Ohr

Eine Begleiterscheinung eines geregelten Arbeitslebens ist es auch, dass man ab und an, insgesamt aber um die 9 Stunden pro Tag sein Ohr in der Nähe eines Radios hat, dessen Sender einen mit der aktuellen Popmusik beschallt. Und gerade, wenn man dies schon einige Jahre so hat, fallen einem irgendwann auch mal einige Feinheiten auf.

Da wäre zum Beispiel die Wiederholungsrate diverser Songs. Diese scheint bei öffentlich rechtlichen nicht ganz so schlimm zu sein wie bei privaten Radiostationen, aber es fällt schon auf, dass man irgendwie immer denselben Kram zu hören bekommt. Verwunderlich ist das natürlich nicht. Man kann davon ausgehen, dass die Playlisten von Radiosendern beneidenswert riesig sind, aber man will seiner Kundschaft ja gefallen, also spielt man den möglichst kleinsten Nenner an Songs und kann schön argumentieren, dass man ja spielt, was der Großteil der Hörerschaft gefällt. Und weil das ja auf jedem Sender so ist, ergibt man sich da auch umso leichter in sein Schicksal. Gerade, wenn es um die Songs herum noch ein unterhaltsames Entertainmentprogramm gibt, kann man damit tatsächlich auch ohne größeren Verschleiß den Arbeitstag über die Runden bekommen, ohne Ohrkrämpfe zu bekommen.

Wer aber eigentlich schon immer mal wissen wollte, wie diese Wiederholungsrate von Radiosongs genau aussieht, sollte nun genauer hin lesen. Denn ich hatte mir mal die Zeit genommen und eine komplette Woche des Radiosenders SWR3 zusammen zu rechnen. Ergebnis: vier Songs wurden 23 mal pro Woche gespielt, drei weitere 22 mal, nochmal drei weitere 21 mal und 5 mal wurden Songs in einer Woche 20 mal dem Zuhörer geschenkt. Weitere 7 Songs wurden zwischen 17 und 19 mal gespielt. Von diesen 22 Songs, die insgesamt also 449 mal innerhalb einer Woche gespielt wurden und so bei einer durchschnittlichen Songdauer von 4 Minuten insgesamt einen Tag, 5 Stunden und 56 Minuten ohne Unterbrechnung liefen, waren in diesem Moment genau fünf Songs in den Top 10 der deutschen Charts, drei weitere immerhin in den Top 20. Drei dieser Songs waren gar nicht mehr in den deutschen Charts vertreten.

Abakus

In dem Moment kommt mir als Mensch mit gerne zweifelndem und hinterfragendem Verstand natürlich schon die Frage in den Kopf „warum wiederholt man eigentlich ausgerechnet diese Songs immer und immer wieder?“ Und dabei gibt es noch weitere 15 Songs, die immer noch zwischen 10 und 13 mal pro Woche gespielt werden, also mindestens ein bis zweimal pro Tag gespielt werden. Auch wenn man die totale betrachtet. In einer Woche wurden 904 unterschiedliche Songs gespielt, zählt man die Doubletten mit, kommt der Radiosender auf 2130 gespielt Musikstücke. 63 Lieder wurden dabei mindestens einmal täglich gespielt, also 7 % aller Songs hört man täglich. Oder wenn man die unbequemere Prozentzahl nehmen will, von 2130 Melodien hört man 826 mal eine tägliche Auswahl von 63 Songs, was fast 40 % entspricht.

Die Antwort darauf: Weil die Hörer sich einfach nicht die Zeit nehmen, genau so etwas auszurechnen. Das soll auch gar kein Vorwurf sein, es ist ja eigentlich auch nicht so wichtig, was da im Radio läuft. Es soll zur Unterhaltung dienen, als Konzentrationshilfe oder was auch immer. Jemand, der gerade Liebeskummer hat und daher sein Herz in schwertragende Sülze ertränken will, käme sicher nicht auf den Gedanken, einfach mal das Radio anzumachen in der Hoffnung, dass da schon das richtige kommen wird.

Aber die Devise ist dennoch da. Bloß nicht nachdenken. Bringt die Hörer bloß nicht dazu, darüber nachzudenken, was sie da gerade hören. Das macht es für Radiosender dann natürlich einfacher, eben jenen „gemeinsamen Nenner“ zu finden, also Songs, von denen sie behaupten können, dass es ja einer breiten Masse gefällt. Da sich der Zuhörer ja nur sehr selten Gedanken darüber macht, was er von seinem Radiosender erwartet, funktioniert das am Ende vermutlich auch eher so, dass die Radiosender die Songs nicht danach auswählen, was ihnen Hörern gefallen könnte, sondern dass den Hörern ein Song so lange – bis zu 23 mal pro Woche – aufs Ohr gedrückt wird, bis sie sich an ihn gewöhnt haben und dann sagen „boar, der Song ist ja voll klasse.“

Und nicht mal das würde ich den Radiostationen zum Vorwurf machen. Die arbeiten ja mit dem Medium Musik, es ist also viel mehr eine Art Serviceleistung. Sie machen sich Gedanken darüber, welche Musik uns bereichern könnte und kaufen bei den jeweiligen Plattenlables entsprechende Songs ein.

Ohrenschmerzen

Und da sind wir jetzt an der wirklich beklagenswerten Quelle des Übels angekommen. Die Plattenlables, die uns inzwischen scheinbar mit dem größten, uninspiriertesten Schrott überfluten, den man sich nur ausdenken kann. Klar, es funktioniert so ja. Aber ein Blick in die aktuellen charts verrät ein wenig, dass irgendwann mal was passiert sein muss, dass die Plattenlables dazu gebracht hat, die Produktion guter Musik für die Masse gänzlich einzustellen und nur noch das nötigste machen. Auch hier – ein gutes Pferd springt nur so hoch wie es muss und wenn die Masse an Zuhörern nicht mal bei Musik von Matthias Schweighöfer auf die Barrikaden geht… warum sich dann also mit Persönlichkeiten herumärgern, denen Musik wirklich etwas bedeutet?

Ich verliere mich da ein wenig in Daniels Utopia. Man stelle sich eine Zeit der Musik vor, in denen es noch Freddy Mercury oder David Bowie Songs schreiben würden, in denen Genesis noch spielen würde und in den Radios die neusten Songs von Elton John und Prince liefen. Es gab mal eine Zeit, da mochten die Menschen Chris de Burgh. Heute gibt er zusammen mit Zuccero und Blackwinters Night fast kostenlose Konzerte in Luxemburgischen 6000 Einwohner-Dorf Wiltz, während Millionen von Menschen glauben, Helene Fischer wäre eine gute Musikerin…

Zugegeben, ganz Hoffnungslos ist es nicht. Das zeigt nicht nur, dass auf SWR 3 eben der portugisische ESC-Siegerhit nebst vorheriger Textübersetzung gespielt wurde. Und als Freund der Musik ist man ja auch nicht alleine da draußen. Wie gesagt, die Leute, die Musik hören, weil ihnen Musik etwas bedeutet, haben in der Regel eh ihre private Sammlung, die sie mal mindestens als Kontrastprogramm zum Arbeitsradio hören können. Und dann gibt es auch noch einige spannende Projekte wie zum Beispiel dieses Video, wo jemand die Texte Queens Bohemians Rhapsody in ein Theatersschauspiel umgewandelt hat.

Und auch an anderer Stelle ist mancherorts schon aufgefallen, dass die Musikbranche in letzter Zeit ihre Qualitätszügel ein wenig arg haben schleifen lassen. Legendär dahingehend wohl der Böhmermanndiss, in dem er einen Popsong von Affen komponieren ließ, um damit die Songschreiber bei der Echoverleihung zu brüskieren. (Und da muss ausgerechnet Campino von den Toten Hosen drauf einsteigen. Campino. Der Typ, der jüngst einen Echo in „klassischer Musik“ erhalten hat… nochmal zum Genusswurzeln. Campino. Toten Hosen. Klassische Musik… is klar, ne?

Das ist ja nicht nur bei Texten so, sondern auch in den früher noch so ikonisch abgefeierten Musikvideos. Es gab Zeiten, da bettelten Teenager ihre Eltern an, um an einem bestimmten Tag ausnahmsweise mal um 23 Uhr noch wach zu bleiben, weil da nämlich Michael Jackson sein Video zu „Thriller“ veröffentlichte und es durch die Zombies unter eine FSK fiel und daher erst im Nachtprogramm gezeigt werden durfte. Heute… seht selbst.

Um auf die Texte zurück zu kommen, es ist wahrscheinlich etwas müßig, sich über Texte in der Popindustrie noch aufzuregen. Sie alle haben gemeinsam, dass sie so viel interpretationsspielraum zulassen, dass man sich was weiß ich was rein denken kann. Sie stellen meist eigenartig abstrakte Bilder dar, die irgendwie gar keinen Sinn ergeben und alle eher einen Moment beschreiben als wirklich noch eine Geschichte. Bestes Beispiel – und das mit großer Verlässlichkeit sind da z.B. Texte vom einstigen Ich & Ich Sänger Adel Tawil. Der quält uns z.B. täglich 23 mal mit folgenden Texten:

Ohne Ziel läufst du durch die Straßen durch die Nacht, kannst wieder mal nicht schlafen
Du stellst dir vor, dass jemand an dich denkt
Es fühlt sich an als wärst du ganz alleine auf deinem Weg liegen riesengroße Steine
Und du weißt nicht, wohin du rennst

Wenn der Himmel ohne Farben ist schaust du nach oben und manchmal fragst du dich

Ist da jemand, der mein Herz versteht? Und der mit mir bis ans Ende geht?
Ist da jemand, der noch an mich glaubt? Ist da jemand? Ist da jemand?
Der mir den Schatten von der Seele nimmt? Und mich sicher nach Hause bringt?
Ist da jemand, der mich wirklich braucht? Ist da jemand? Ist da jemand?

Um dich rum lachende Gesichter du lachst mit, der Letzte lässt das Licht an
Die Welt ist laut und dein Herz ist taub
Du hast gehofft, dass eins und eins gleich zwei ist, Und irgendwann irgendwer dabei ist
Der mit dir spricht und keine Worte braucht

Wenn der Himmel ohne Farben ist Schaust du nach oben und manchmal fragst du dich

(refrain)

Wenn man nicht mehr danach sucht, kommt so vieles von allein
Hinter jeder neuen Tür kann die Sonne wieder schein’n

Du stehst auf mit jedem neuen Tag weil du weißt, dass die Stimme …
Die Stimme in dir sagt …

Da ist jemand, der dein Herz versteht und der mit dir bis ans Ende geht
Wenn du selber nicht mehr an dich glaubst dann ist da jemand, ist da jemand!
Der dir den Schatten von der Seele nimmt und dich sicher nach Hause bringt
Immer wenn du es am meisten brauchst Dann ist da jemand, ist da jemand!

(…)

Lieber Adel Tawil, ich befürchte, ich werde in meinem Leben niemals einen solch labilen Geisteszustand haben, als dass ich mir solche Fragen stelle und wenn dann die Wendung doch so kommen sollte, wie du es besungen hast, wären diese dahingewichsten Beleidigungen der deutschen Sprache garantiert das letzte Medium, dass ich wählen würde, um meiner Freude Ausdruck zu verleihen. Aber dennoch danke für den Versuch, der dir sicher tausende von Euros in die Tasche gespült hat, während talentierte chilenische Straßenmusiker ihre Panflöte fressen müssen, um nicht zu verhungern… sorry, meine übliche Reaktion auf Songs von Adel Tawil. Das geht mir schon seit Jahren so… Ihr wisst wohl selbst, da tobt dann der Hamster vor meinem Fenster…

Spannender ist eher die Frage – wann fing das nur an? Überraschenderweise kann da der Blick deutlich weiter zurück fallen. Aber wenn ich euch schon das Schauspiel zur Bohemian Rhapsody zeige, will ich euch zum Ausgleich mal einen wundervollen Text von Christina Stürmer vorstellen. Der ist aus dem Jahr 2003

Weeping Angel

Weißt Du wie die Dichter schreiben? Hast Du je einen gesehn? Dichter schreiben einsam
Weißt Du wie die Maler malen? Hast Du je einen gesehn? Maler malen einsam
Weißt Du wie die Engel fliegen? Hast Du je einen gesehn? Engel fliegen einsam
Weißt Du wie ich mich jetzt fühle? Hast Du je daran gedacht? Du und ich gemeinsam

Refrain:
Engel fliegen einsam, Du und ich gemeinsam, Engel fliegen einsam, Niemals mehr allein sein

Weißt Du wie Träumer schlafen? Hast Du je einen gesehn? Träumer schlafen einsam
Weißt Du wie Feen verzaubern? Hast Du je eine gesehn? Feen verzaubern einsam
Weißt Du wie die Engel fliegen? Hast Du je einen gesehn? Engel fliegen einsam

Ich weiss es geht Dir ganz genau so, Was hast Du mit mir gemacht? Du und ich gemeinsam

Refrain:
Engel fliegen einsam, Du und ich gemeinsam, Engel fliegen einsam, Niemals mehr allein sein
Dann bin ich aufgewacht, Und ich hab nachgedacht, Dann hab ich laut gelacht, Weil man sowas nicht macht
Engel fliegen einsam, Niemals mehr allein sein

Jesus… Das Problem scheint es also doch schon länger zu geben… 1994 war MODO die Nr. 1 in Deutschland mit Eins, zwei, Polizei… (und der Witz ist, ich brauche jetzt nur „drei vier, Grenadier“ zu sagen und ihr alle könnt den Text weiter zitieren… 😉 ) Das war dann jetzt vor 23 Jahren.

Manche Räder drehen sich dann halt doch über Jahrezehnte nicht automatisch weiter. Im Jahr meiner Geburt 1979 wurden die Charts beherrscht von Songs wie „YMCA“ von den Village People, Dschinghis Khan oder Pop Muzik von M. Und so verkommt mein ganzer Artikel durch die Schlusspointe zu einem klassischen Pleonasmus. Die Welt wurde einfach schon immer mit schlechten Texten geflutet. Vielleicht waren es früher weniger. Aber es gab auch weniger möglichkeiten, seine Musik auf den Markt zu bringen. So ist das aufregen über schlechte Texte wahrscheinlich sowas wie das Aufregen der älteren Menschen über die Teenager von heute. Anderseits: Sich über andere Aufregen macht ja auch Spaß. Und mir geht es ja auch darum, euch zu Unterhalten. Niemand hat behauptet, ich wolle die Welt verbessern. 😉 Aber wenn ihr auf Basis dieses Artikels den Gedanken fasst, den besten Songtext der Welt zu schreiben und damit die deutschen Charts zu erobern, dann habt ihr trotzdem ganz sicher meinen Segen.

Euer Dannimax

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