Eurovision – die heiße Phase beginnt.

Endlich ist es so weit. Seit wenigen Tagen finden in Lissabon die ersten Proben zum diesjährigen Eurovision Song Contest statt. In Portugals Hauptstadt geben sich 43 Länder die musikalische Ehre im Wettstreit um Glanz und Glorie. Dabei haben vor wenigen Tagen schon die ersten Proben für die beiden Halbfinals am Dienstag und Donnerstag gegeben. Sie geben einen ersten wirklichen Einblick darauf, was uns für diesen Event erwarten wird und wirbeln gewohnheitsgemäß die Favoriten des Events noch einmal kräftig durcheinander.

Gerade in Deutschland scheint dabei nur eine Sache wirklich wichtig zu sein. Bloß nicht wieder letzter werden. (Dieses dreimal in Folge letzter werden hat in der deutschen Musikerseele doch Spuren hinterlassen. Dabei sind wir eigentlich beim letzten Mal gar nicht letzter geworden. Allerdings war Spaniens „Do it for your lover“ so grotesk schlecht, dass er als ernstzunehmender Teilnehmer eh von allen gedanklich sofort ausgeblendet wurde. Von den erstzunehmenden Beiträgen wurden wir definitiv letzter.

Nun, in diesem Jahr scheinen wir ersten Prognosen zufolge zumindest etwas besser abzuschneiden. Ich selbst schätze uns irgendwo zwischen Platz 15 bis 20 von 26 Teilnehmern ein, ohne die Bühnenschow bisher gesehen zu haben. Aber der Song „You let me walk alone“ von Internet Sensation Michael Schulte ist tatsächlich mal nichts, wofür man sich schämen müsste. Schulte hat eine sehr gute, sehr angenehme Stimme und kann dem Song daher einiges an Gefühl mitgeben. Was ihn vermutlich tatsächlich Punkte kostet ist, dass er ein wenig aussieht wie Ed Sheeran und eben auch so ein bisschen nach ihm klingt. Das ist das eigentlich Groteske, man hört den Song und denkt sich „hm, von Ed Sheeran geklaut“. Dabei ist der Song eher ein Mix von Lukas Graham und Adele. Mit dem Musiker aus Hebden Bridge, West Yorkshire hat das alles nichts zu tun. Doch da man letztes Jahr mit Levinas Song schon sehr dreist an Titanium von David Guetta bedient hatte, nimmt man diese „Einfallslosigkeit“ den Deutschen wohlmöglich doch etwas übel. Dabei ist es von den Songs vor Ort noch mit einer derjenigen, die am ehesten in den Radios laufen würde. Da die Jury eines jeden Landes per Regel der EBU aus Personen bestehen muss, die eine Musikkarriere vorweisen müssen, wird aber gerade dieser Radiotauglich-Umstand in die Karten spielen. Anderseits ist es eben nun auch mal ein „Safegame“. Ein zu hohes Risiko wollte man mit dem Song wahrlich nicht eingehen. Ich bin mir daher relativ sicher, dass wir von den Juroren deutlich mehr Punkte bekommen werden als von den Zuschauern.

In anderen Ländern ist es auch nicht viel anders. Zwar fällt der 2018er Jahrgang dadurch aus, dass besonders viele unterschiedliche Genres vertreten sind, Beiträge, die wirklich herausstechen sind aber selten. Am ehesten „anders“ ist der Beitrag aus Israel, „Toy“ von „Netta Barzilai.“ Die DJane aus Tel Aviv fällt mit einer äußerst tanzbaren Nummer auf, ihr Instrument dabei ist ein Looper, den sie mit einer sehr starken Stimme zu füttern weiß. Ihr Song ist zudem modern in mehrerlei Hinsicht, hat sogar orientalische ethno-Elemente drin… und Hühnergegacker. Der Song spricht die #metoo-bewegung an und gibt dahingehend eine klare Botschaft raus. „Im not your toy, you stupid boy“. Und auch die kräftig gebaute Diva hat eine sehr sympathische Ausstrahlung. Kein Wunder also, dass sie von den Buchmachern aktuell als klare Nr. 1 gehandelt wird. Ihr Video wurde bereits im Vorfeld 17 Mio Mal angeklickt. Ein ziemlich sensationeller Wert, der im aktuellen Teilnehmerfeld seinesgleichen sucht.

Doch das heißt gar nichts. Denn erste Stimmen ließen schon verlauten, dass die Bühnenshow das Niveau des Songs oder des Videos aktuell noch nicht halten kann. Natürlich hat Israel noch ein wenig Zeit, um an eben jener Bühnenshow nachzubessern, aber vergleiche zum letztjährigen Safe-Winner Francesco Gabbani, welcher trotz Gorilla mit einer schwachen Bühnenschau den sicheren Sieg des Songs Occidentalis Karma noch in den Sand gesetzt bekam, sind angemessen. Die Konkurrenz schläft nicht.

Wer ist in diesem Jahr die Konkurrenz? Da kommen einige in Frage. Viele sehen Estland in der Position des ärgsten Verfolgers. Elina Nechayeva singt eine beatunterstützte italienische Oper mit „La Forza“ und trifft dabei Töne, wie man sie zuletzt vermutlich im Film „Das fünfte Element“ gehört hat. Vieles erinnert an Sarah Brightman, zudem hat sie ein riesiges Trickkleid, welches für allerlei spacige Lichteffekte herhalten darf. Qualitativ ist das wirklich obere Grenze und gerade ob des Finales tröstet man sich schnell darüber hinweg, dass der Song eigentlich gar keine richtige Melodie hat. Und die Idee des Lichteffekt-Kleids ist auch nicht gerade neu. Das Problem ist ein anderes… Oper ist Oper und ESC ist ESC. Eigentlich ist ein Opernsong noch nie gut beim Publikum angekommen. Und ich befürchte, dass das auch bei Elina Nechayeva so sein wird. Sie ist in dieser bunten, verrückten Welt einfach ein wenig Fehl am Platz, sie ist ZU gut für den Event.

Genau richtig ist derweil Mikolas Josef beim ESC aufgehoben, der Tscheche macht sich an, mit seinem Song Lie to me das beste Ergebnis des Landes aller Zeiten einzuholen. Und tatsächlich gibt der 22-jährige einen äußerst glaubwürdigen Justin Timberlake ab. Der Song ist Catchy, auf der Bühne bekommt man richtig etwas geboten und Mikolas fällt zudem dadurch auf, dass er alles selbst macht. Er singt selbst, er hat seinen Song selbst geschrieben, er hat ihn selbst komponiert und er hat sogar das Staging selbst gemacht. Das einzige, was Josef stoppen kann ist Josef selbst. Der hat in seine Choreografie einen mutigen Salto eingebaut und gleich in der ersten Probe sich bei jenem am Rücken verletzt und wurde wegen der Schmerzen ins Krankenhaus gebracht, wo er dann sogar die Nacht verbringen musste. An diese Nacht wird er denken, wenn er diesen Salto wieder aufführen will. Die Frage ist dann – werden wir es auch merken?

Ebenfalls auf dem Zettel haben sollte man – in jüngerer Zeit schon fast traditionell – Bulgarien. Die haben sich gleich fünf Sänger, bzw. vier Sänger und eine Sängerin auf die Bühne geholt und trällern ihre düstere Popnummer Bones. Das Quintett ist dabei extra für den ESC zusammen gestellt worden und bedient sich an so ziemlich jedem Castingshow-Export, den sie weltweit finden konnten. Leadsängerin Zhana Bergendorff hat ihre Erfahrungen bei X Factor Dänemark und X Factor Bulgarien gesammelt, Georgi Simeonov bei X Factor Rumänien, Vladimir Mihailov war 2017 noch Backgroundsänger beim ESC-Act von Kristian Kostow, Jonny Manuel erreichte das Halbfinale von Americas got Talent und Trey Campell ist der Songschreiber in der Truppe. Klingt nach viel Talent, klingt aber auch sehr gewollt. Tatsächlich ist ihnen mit Bones ein sehr guter, düsterer Popsong gelungen. Wenn er doch nur nicht als Liebessong konzipiert wäre. Tatsächlich gibt es auch hier bereits Stimmen, die genau deswegen vom Staging der letzten Tage alles andere als angetan waren. Auch den Bulgaren droht aktuell ein Gabbani-Schicksal.

Zwei weitere Länder können Netta den scheinbar so sicheren Sieg noch streitbar machen. Einer der beiden ist tatsächlich Frankreich. Ich habe über Madame Monsieurs Song „Mercy“ ja schon in meinem Artikel „ESC – das E steht für Enttäuschung“ gebloggt, schon damals hatte der Song überraschend den Voice-Hype-Teilnehmer Lesandro Cuxi aus dem Wettbewerb geworfen, nun scheint sich der Song auch Europaweit irgendwie durchzumogeln. Mir ging der Song bisher komplett unten durch, doch in diversen Youtube-Ratings oder Fan-Wertungen ist der Song jedes Mal oben mit dabei. Vielleicht hat sich ja irgendwo durchgesprochen, dass Madame Monsieur auf ihre schwarzen Rollkragenpullover verzichtet. Verkehrt ist der Song ja tatsächlich nicht. Das kann man vom anderen großen Favoriten zum Beispiel nicht behaupten. Norwegen.

Tatsächlich vertritt kein geringerer als der Sieger von 2009, Alexander Rybak erneut die Nordmänner. Während sein Song Fairytale 2009 noch verdienter Sieger war und alle Punkterekorde purzeln ließ, ist sein diesjähriger Song „Thats how you write a song“ ziemlich billig und cheesy. Aber es ist nun mal Rybak und auch 9 Jahre nach Fairytale hat er nichts von seinem Charisma eingebüßt. Irgendwie wirkt das alles zwar sehr professionell, gewollt und herzlos und sein Song wirkt wie ein Kinderlied. Aber irgendwie kommt man am Song einfach nicht vorbei, zudem scheint mit dem Song auch auf der Bühne einiges zu passieren. Im Norwegischen Vorentscheid hat er zumindest sehr erfrischend mit den Special Effects gespielt, die schon Mans Zelmerlöw zum ersten Platz für Schweden mit seinem Hit „Heroes“ führten. Nein, man darf Rybak nicht abschreiben. Zumal das norwegische Votingsystem bereits vermuten ließ, dass der Song in Osteuropa mal so richtig die Runde machen wird.

Im erweiterten Favoritenfeld findet man derweil noch ein paar übliche Verdächtige wieder, Schweden und Australien können ja scheinbar singen, was sie wollen, es landet irgendwo weiter oben. Italien ist seit ihrer Rückkehr 2009 einfach immer gut. So auch dieses Jahr mit Meta & Moros Friedenssong Non mi avete Fatto Niente. Dazu kommt Zypern mit einem 1a vorgetragenen Ballermann-Hit daher, welcher vielen Freude machen wird, die keine Sekunde damit verbringen wollen, sich mit der Musik auch auseinander zu setzen, die sie hören. Und wenn Belgien ihr Staging noch gravierend ändert, ist auch für Senneks „a matter of Time“ eine gute Platzierung drin.

Doch bis dahin kann noch viel passieren. Am Dienstag, dem 08.05.2018 gilt es, wenn auf ONE das erste Halbfinale stattfindet. Ein wahres Todes-Finale, da 19 Länder um gerade mal 10 freie Plätze kämpfen. Unter ihnen mit Belgien, Tschechien, Israel, Estland, Bulgarien und Zypern gleich sechs Favoriten, zudem treten mit Griechenland und Finnland zwei weitere Schwergewichte an. Wen ich da eine Runde weiter sehe, erfahrt ihr dann in meinem nächsten Blog. Bis dahin könnt ihr ja mal sagen, was ihr von den bisherigen Songs so haltet.

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