Auch das zweite Halbfinale kennt nun seine Zehn Qualifikanten. Und der Rest Europas weiß nun auch, dass vermutlich der Sieger des diesjährigen Eurovisions vermutlich nicht aus diesem Halbfinale entspringen wird. Es war gefühlt ein recht schwaches Halbfinale, beim dem vermutlich auch von technischer Seite nicht immer alles glatt lief.
Dass bei Slowenien allerdings irgendwann die Musik ganz weg war und Lea Sirk so tat, als wäre es eine Panne und es wäre nun Zeit, das Publikum zu animieren, ihnen beim Weitersingen zu helfen, war geplant so. Und fand ich einen gelungenen Effekt. Sowieso war es irgendwie das erste Mal, dass mir Hvala, Ne! Wirklich gefallen hat, bisher fand ich vor allem den Refrain meist etwas nervig. Doch dieses Mal landete die ziemlich ehrliche Slowenien bei mir und wurde zu meiner großen Freude als wohl größte Überraschung aller Gewinner ins Finale gewähnt. Lea Sirk zeigt sich dabei auch bei der Pressekonferenz erfrischend rational. Sie hat wohl schon im Vorfeld ehrlich zugegeben, dass sie ihren eigenen Song nicht mag und auch jetzt erwähnte sie, dass sie für diesen Song gerade mal 10 Minuten gebraucht hätte und es kaum erwarten könne, in kürze den nächsten Song zu komponieren. Was ein Kontrast zu diesen „Alles ist Liebe.“-Dummchen.
Auch meine zweite Herzensangelegenheit hat den Einzug ins Finale gepackt. Ungarn wagte mit AWS und ihrem Song Viszlát Nyar den Schritt zum Metalcore und so gröhlten sich Örs Siklosi und seine Band über die Bühne. Sogar Stagediving gehörte zum Programm, zudem viel Pyro… und es wirkte einfach Authentisch. In dem Song beklagt AWS den Verlust des Vaters, beziehungsweise schreibt den Text auch aus der Sicht des Vaters und seiner letzten Stunden. Da wurde viel Emotion präsentiert und sie wurden da nicht nur mit dem Einzug ins Finale belohnt. Auf der Presseerklärung erklärte ihr Manager, dass sie soeben für das Wacken Open Air gebucht wurden. Darüber haben sich die Jungs fast mehr gefreut als über den Finaleinzug.
Hier derweil eine Übersetzung des auf Ungarisch gesungenen Textes zu „Viszlat Nyar (Auf Wiedersehen, Sommer)
Lass uns endlich mit offenen Karten spielen:
Mein Schiff muss abfahren
Und wird dich hier zurücklassen
Mein Blut wird später in dir weiterleben
Und wenn du es nicht weg gibst, das Zeichen auf deinem Herz,
Was mich von der Erde bis zum Himmel hebt.
Wiedersehen, Sommer, jetzt bist du schon zu spät,
Weil du mich angelogen hast, hast gesagt du wirst mir gehören,
Bist aber nicht gekommen!
Wiedersehen, Traum, danke, dass du verschwunden bist!
Es wäre nun an der Zeit alles zurückzubekommen,
Was du mir genommen hast!
In meinen müden Arterien ist das Leben,
Ich weiß, dass du mich noch festhalten würdest,
Aber lass mich los, bitte!
Hier, reiß deinen Teil von mir ab,
Und wenn du es nicht weg gibst, das Zeichen auf deinem Herz,
Was mich von der Erde bis zum Himmel hebt.
So… wirken lassen, einmal kurz schütteln. Da gehört nun auch nicht viel dazu um richtig zu vermuten, dass es von allen Songs am Abend der ernsteste war. Im Grunde also auch das genaue Gegenteil von „Thats how you write a Song“. Norwegens Alexander Rybak hat einen extrem dümmlichen Song aufs Parkett gezaubert. Zudem war die Starter-Position sicher nicht das Beste für ihn. Aber dennoch langte es fürs Finale. Und da kann er mit vielen vielen Punkten rechnen. Denn dieses Jahr wird auch schon als das „Osteuropäische Blutbad“ bezeichnet. So ist zum Beispiel keine einzige Nation aus dem Kaukasus dabei. Neben Aserbaidschan und Armenien am Dienstag musste auch Georgien nach Hause fahren, neben Weißrussland am Dienstag erwischte es zusätzlich nun Lettland, Rumänien und Russland.
Vor allem die letzten beiden Nationen sind eine kleinere Sensation. Dass Russland im Grunde alles gemacht hat, um bloß früh auszuscheiden habe ich im Vorfeld ja schon gesagt, nach dem Auftritt kann man aber zumindest mal davon ausgehen, dass da die Juroren dran Schuld sein könnten. Denn Julia Samoylova war mit ihrem Song „i wont break“ jetzt auch nicht groß schlechter als andere. Sie sah natürlich ein wenig aus, als würde sie gleich ein Nickerchen machen, aber dafür kann sie ja nichts, das liegt an ihrer Krankheit. Und ganz ehrlich, Kroatiens Franka mit ihren unterschiedlich großen Augen sah da ungesünder aus. Und Rumänien war eigentlich immer eine Nation, die irgendwie weiter kam, selbst wenn sie das Telefonbuch rückwärts gesungen hätten. Aber es kam anders.
Und so haben die Einstigen GUS-Staten nun die Wahl zwischen der Ukraine, Estland, Litauen, Moldawien und eben Rybak, dem gebürtigen Weißrussen. Ich habe ja schon vorher gesagt, dass Rybak dort gut ankommt. Wenngleich der Song ziemlich lausig ist, muss man also weiter mit ihm rechnen. Was sind auch die Alternativen. Über das Staging der Estnischen Opernsängerin habe ich mich ja schon aufgeregt, Litauen ist auch eine recht zähe Nummer, wenngleich die Wettquoten ihr tatsächlich Chancen auf den Gesamtsieg einräumen. Jetzt wäre dann noch die Ukraine, eine EMO-Version von Graf Dracula – Mélovin steigt zu Beginn seines Songs „Under the ladder“ wie eben jeniger Karpate aus seinem Klavier als wäre es ein Sarg. Absolut creepy. Das wird nicht passieren, zumal er der Opener des Events sein wird. Aber dann sind Partygäste, die sich nicht so mit dem ESC auskennen wenigstens gleich mal gepolt.
Und sonst wäre da noch Moldau. Die haben tatsächlich für eins der wenigen Highlights des zweiten Halbfinals gesorgt und haben auf der Bühne eine Dreicksbeziehung mit Hilfe von drei Türen dargestellt und es fehlte eigentlich nur noch die Benny Hill-Musik. Sich das anzusehen war einfach ein riesiger Spaß, DoReDos und ihr Song „My Lucky day“ sind moldawisch treu ein großartiger Funact. Und wird ähnlich wie im Vorjahr der Epic Sax guy vermutlich richtig gut ankommen.
Und damit kommen wir auch schon zum Rest der Qualifikanten, die irgendwie so mitgelaufen sind. Was aber auch an Tonproblemen gelegen haben kann. Gerade im Mittelteil der Show waren unheimlich viele Auftritte in Folge out of tune. Das viel vor allem bei der Australierin Jessica Mauboy auf, die in ihrem Song We got love anfangs scheinbar kaum eine Note traf, dann ihre Headphones auszog und auf einmal viel besser war. Zum Glück ging es für die sympathische Australierin dadurch doch noch eine Runde weiter. Australien ist damit übrigens neben der Ukraine das einzige Land, dass sich noch immer für das Finale qualifiziert hat. Aber andere haben durch die Tonprobleme vermutlich alles verloren. Georgiens harmonischer Mehrstimmgesang zündete überhaupt nicht, auch Polen musste überraschend die Segel streichen, ihr Song Light me Up scheiterte nicht nur an der fehlenden Energie von DJ Gromee, sondern vor allem am hundsmiserablen Gesang vom schwedischen Sänger Lukas Meijer. Auch Maltas „Taboo“ von Christabelle war gesanglich schwer zu ertragen und schied daher aus.
Der einzige Verlust bei den ausscheidenden Nationen war vermutlich auch nur Lettland und das Jazzige „Funny Girl“ von Laura Rizzotto. Dabei war sie stimmsicher und hatte ein tolles rotes Kleid. Aber der Song war einfach zu schwach. Da wird’s wohl auch bei Montenegros Inje von Vanja Radovanovic gelegen haben, seine Balkan-Pop-Nummer hätte von mir aus auch weiter kommen können. Dafür fanden Style- und Charakterdesaster Waylon mit seiner Countrynummer „Outlaw in Em“, die irgendwie recht zahnlos wirkende Game-of-Thrones-Truppe aus Dänemark, Rasmussen mit ihrem „Higher Ground“, der tatsächlich nicht sonderlich weh tuende Schwede „Benjamin Ingrosso“ und seine Timberlakeske Nummer „Dance you off“ und letztendlich die bessere von zwei Balkan-Pop-Balladen den Einzug ins Finale. Die Rede ist von Sanja Ilic & Balkanika und ihrem Song Nova Deca. Aber es musste ja weiter kommen, schon in der Griechischen Mythologie waren Sirenen ein musikalisches „Erfolgsrezept“ und auch Sanja Ilic wirkte ein wenig wie Rasputin aus dem Hellboy-Film. Hier war also eine ganz eigene „Magie“ am Werke.
Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass auch San Marino wie in jedem Jahr kurz teil genommen hat. Niedliche, Schilder hoch haltende Roboter waren aber nicht genug, um den nächsten absoluten Trash-Vortrag über die Zeit zu retten. So kann man letztendlich nur nochmal erwähnen, dass die Show selbst wieder großartig war. Portugal zeigte sich auch im zweiten Halbfinale als witziger, selbstironischer, lockerer Gastgeber. Sie machen wirklich viel richtig und so darf man sich für den morgigen Samstag auf eine gute Show freuen. Zum einen natürlich wegen der Moderation, zum anderen auch, weil sich in beiden Halbfinals irgendwie nur verdiente Songs qualifiziert haben. Es ist keine einzige Graupe im Feld dabei, die nur durch vermutliches Nachbarschaftsvoting weiter gekommen wäre. Aus musikalischer Sicht verläuft dieser Event einfach perfekt. Weswegen am Ende vermutlich wirklich Zypern gewinnt… niemand hat so viel Glück bis zum Ende. Das läuft zu glatt für ein Happy End. 😉
Damit zum Schluss hier noch einmal die Setliste für den morgigen Tag. Übrigens mit einem ziemlich positiven Startplatz für Deutschland. Daran erkennt man, dass die EBU dem deutschen Song dieses Jahr einiges zutraut.
01. Ukraine
02. Spanien
03. Slowenien
04. Litauen
05. Österreich
06. Estland
07. Norwegen
08. Portugal
— Pause
09. United Kingdom
10. Serbien
11. Deutschland
12. Albanien
13. Frankreich
14. Tschechien
15. Dänemark
16. Australien
— Pause
17. Finnland
18. Bulgarien
19. Moldau
20. Schweden
21. Ungarn
22. Israel
23. Niederlande
24. Irland
25. Cypern
26. Italien