ESC 2019 – Der Blick in andere Länder 27.02.

Zum dritten Mal geht mein Eurovision-blick heute durch Europa. Und es geht dieses Mal um kleinere und größere Skandale, letztendlich aber um eine ziemliche Bombe. Denn obwohl die Ukraine bereits ihren Vorentscheid „Vidbir 2019“ abgehalten hat und mit Maruv und ihrem Siren Song einen nahezu einstimmigen Sieger kürte, zog das Land nun die Teilnahme am 2020er Eurovision in Tel Aviv zurück! Wie es dazu kommen konnte, erfahrt ihr gleich, doch erst einmal will ich mit den kleineren Skandalen beginnen.

Der erste kam aus Slowenien. Dort wird der Teilnehmer zum ESC in einem Wettbewerb ermittelt, der sich „Evrovizijska Melodija“ nennt, oder kurz einfach nur „EMA“. Die Regeln des EMA sind nicht so schwer, es gibt 10 Teilnehmer, zwei davon dürfen nochmal in einem Superfinale ran, wo dann 50 % Telefonvoting und 50 % eine Jury entscheidet, wer den Weg zum Eurovision antreten darf. Wer es nach Wunsch des Broadcasters RTVSLO am besten hätte werden sollen, war dabei recht offensichtlich. Mit ihrem Song Kaos stand die Sängerin Raiven im Finale. Raivan wurde schon 2016 Zweiter beim EMA, nahm 2017 teil, war 2018 Co-Moderatorin der Sendung… der enge Draht zum RTVSLO war nicht von der Hand zu weisen. Auf der anderen Seite des Superfinals fand sich das blutjunge Päärchen von Zala Kralj & Gašper Šantl wieder, beide gefühlt vielleicht 16 Jahre alt und zumindest Zala schaut auf ihren Gasper in einer solch neidisch machenden Verliebtheit, dass man es kaum glauben kann, dass man es hier mit Musikern zu tun hat, die es mit der ganzen RTVSLO aufnehmen sollen. Ihr ganzer Song „Sebi“ kommt mit einem Looper und einer Bassgitarre und ihrer Stimme aus, auch sind sie erst seit 2018 als Band unterwegs.

Doch leider hat RTVSLO bei diesem Superfinale eine Sache wohl vergessen. Das Slowenische Volk HASST die RTVSLO. Das Ansehen des Senders bei ihren Zuschauern ist so gering, dass diese kaum eine Gelegenheit auslassen, um ihnen eine rein zu drücken. Mitunter nicht unverdient, denn über Jahre hinweg war der EMA geplagt von Manipulationsversuchen und ähnlichen Skandälchen seitens des Senders. Und so half das Juryvoting von 50 % letztendlich wenig, denn eine unglaubliche Masse von 72,89 % gab ihre Stimme den beiden Indie-Popern. Die genaue Verteilung allerdings lag auch nur bei 4666 Stimmen gegenüber 1735. Das Ergebnis kam nicht nur für Zala und Gasper völlig aus dem nichts, auch Fernsehtechnik waren von diesem Ausgang so überfordert, dass sie vergaßen, das Mikro der Moderatorin auszuschalten, als sie die unterlegene Raiven zum Trost umarmte und ihr fluchend vermittelte, dass sie nicht glauben kann, dass sie ihr das angetan hätten.

Das soll übrigens nicht drüber hinweg täuschen, dass „Sebi“ ein in meinen Ohren richtig toller Song ist. Ruhig, zerbrechlich, anders. Ein Crowdpleaser, der tatsächlich eine gewisse Magie aussendet. Und dennoch. Doch hauptsächlich wirken die beiden ebenso natürlich. Als wären sie aus unserer Mitte, nichts Besonderes. Darüber hinaus irgendwie süß, lieb… ich gönne ihnen nicht nur den Erfolg beim EMA. Ich hoffe inständig, dass die beiden es am 18. Mai auch ins Finale packen.

Das hätte ich auch über die 16-Jährige Opernsängerin Laura Bretan gesagt. Ich habe sie mit ihrem fantastischen Song „Dear Father“ ja schon im ersten Blog über den diesjährigen ESC vorgestellt. Und wenig überraschend war auch das rumänische Volk beim Vorentscheid hin- und weg von ihrer Performance und wählten sie mit großer Mehrheit zur Siegerin… ja… wenn sie denn etwas zu sagen gehabt hätten. Doch in Rumänien laufen manche Sachen eben anders. Und so hielt es der Rumänische TV-Sender TVR für eine gute Idee, eine Jury von 6 Personen einzurichten. Und statt die Punkte der Jury zusammen zu legen und mit dem Telefonvoting 50 /50 aufzuteilen, fanden sie es besser, wenn jeder einzelne Juror genau so viel Stimmrecht hätte wie das Publikum. Und sogar das hätte Laura verkraftet. Wenn nicht zwei der Juroren von der berühmten ESC Plattform „Wiwibloggs“ gewesen wären.

Genauer gesagt William Lee Adams und Deban Aderemi. Die beiden sind nicht nur bekannte Mitglieder der LGBT-Szene sondern fielen auch dadurch auf, dass sie Laura deutlich weniger Punkte gaben als alle anderen Juroren. Dass die da noch 15-jährige Laura zuvor in einem rumänischen Wahlkampfspot sich gegen die Ehe für Alle ausgesprochen hatte und genau dieser Wahlspot nur 9 Tage vorher zufällig im Dunstkreis der Wiwiblogger auf Youtube erschien, bekam da natürlich maximales Geschmäckle. Durch diese geringe Punktzahl ging der Sieg so an Ester Pony und ihren Song „On a Sunday“, welcher zugegeben auch sehr schön insziniert ist. Und dennoch weht über diesen Sieg der Atem des Betrugs. Der TV-Sender noch Adams und Aderemi haben sich zu dieser Verschwörungstheorie natürlich nie geäußert, aber dass Rumänien ein fast sicherer Sieg geraubt wurde durch solch ein merkwürdiges Wahlverhalten, in Anbetracht dessen, dass ein Anruf für diese Show satte 50 % kostete, sorgte seitdem für hohe Verschwörungstheorien. Und vor allem die Wiwiblogger mussten sich schwere Kritik gefallen lassen, dass sie ihre journalistische Neutralität aufgeben würden.

Das hat die Macher der ARD-Show „Unser Song für Tel Aviv“ übrigens nicht davon abgehalten, Adams auch in einer ihrer zwei Juries einzuladen und am Ende auch noch die Jurypunkte teilweise verlesen zu lassen. Aber da war er immerhin nur einer von 100 Juroren und sein Anteil am Gesamtergebnis waren 33 %. Und dennoch ist auch der deutsche Vorentscheid nur ganz knapp an einem Skandal vorbei geschrubbt. Schon im Vorfeld wurde ein wenig geunkt. Zunächst wurden 6 Teilnehmer am USFT verkündet, welche alle aus einem Expertengremium von 100 Leuten auserwählt wurde. Dann wurde nachträglich noch das extra für diesen Event zusammen gestellte Duett „S!sters“ hinzu gefügt, welche einen Song vortragen würden, der extra für den ESC erstellt worden wäre und für den dann die optimalen Sängerinnen gesucht worden wären. Eine interessante Herangehensweise, die aber bis dahin nicht großartig Beachtung fand.

Die Idee zumindest ging auf, denn ihr Song „Sister“ gewann nicht nur das Televoting des deutschen Publikums sondern bekam auch die meisten Punkte der internationalen Jury, nur vom 100-köpfigen Expertengremium wurde es ein wenig abgestraft. Aber wer zwei von drei Jurorendurchgängen gewinnt, ist verdient weiter gekommen. Nur so richtig glücklich war dennoch scheinbar niemand darüber. Schon bei der Punktevergabe fing das hysterische Jubelgekreische der beiden Sängerinnen Carlotta Truman und Laurita Spinelli sehr schnell nervig zu werden. Und auch der Song wirkt zumindest für meine Ohren ziemlich künstlich und bedeutungslos. Aber ich gebe auch zu, dass bei mir die Enttäuschung mitschwingt, dass der Song Surprise von „Lily among clouds“ am Ende nur zweiter wurde. Da hatte ich Gänsehaut und ich verstehe bis heute nicht, was da genau passiert ist.

Es war einfach nur knapp. Das allerdings lag auch an Johannes Strate, dem Sänger der Band Revolverheld. Dieser war einer der 20 Ausländischen Juroren und war quasi die Stimme der deutschen Jury. Und er gab den S!sters all seine 12 Punkte. Damit zogen innerhalb des auslandsjuryvotings die beiden Sängerinnen an „Makeda“ vorbei. Um gerade mal eine Stimme. Diese wurden auf das ESC-System umgerechnet. Also gab es 12 Punkte für Truman und Spinelli und nur 10 für Makeda. Auch hier noch kein Skandal. Aber es hätte einer werden können, wenn im Telefonvoting Lily among clouds über den Sisters gestanden hätte. Lily wurde zweite und erhielt dafür 10 Punkte, die Sisters 12. Hätte Lily die 12 Punkte erhalten, hätte das für die Schwestern natürlich immer noch gereicht. Doch ohne Strates Punkte wären zwei weitere Punkte weniger auf dem Konto gewesen und bei Gleichstand hätte das Telefonvoting gezählt. Für Lily wäre es nach Tel Aviv gegangen. Wo ist der Skandal? Nun, Johannes Strate ist Juror der Show „The Voice Kids“. Und als solche war er Pate einer gewissen “Carlotta Truman”, welche ihn sogar bis ins Finale dieser Show begleitete. Dass man Strate da eine gewisse Parteilichkeit sehr einfach vorwerfen kann, ist wohl kaum von der Hand zu weisen. Aber letztendlich ist es hier nur ein Fall von „Hätte, Wätte, Fahrradkette.“ Das Publikumsvoting sprach für die S!sters und so wird für Deutschland eine Wundertüte auftreten. Zwei Mädels, bei denen mein Instinkt mir sagt, dass es mal wieder fürchterlich schief laufen wird, dass aber schon einmal meinen Instinkt völlig Lügen gestraft hat. Wir werden uns überraschen lassen müssen.

Und letztendlich ist das alles nur ein Hühnerschiss zu dem, was in der Ukraine vorgefallen ist. Und damit sind wir nun auch endlich beim Vidmir 2019 angekommen.

Wobei man sagen muss, dass der Vidmir selbst, von seinen Entscheidungen her kaum Grund zur Klage gab. Ziemlich eindeutiger Sieger war „MARUV“ und ihr Song „Siren Song“. Vor allem das Ukrainische Publikum wollte den stark an den Tanzvorführungen von Nicky Minage orientierten Auftritt unbedingt in Tel Aviv sehen. Doch schon die Aussagen der Juroren sorgten beim neutralen Betrachter für ungläubiges Augenreiben. Die ESC-Siegerin von 2017, Jamala nötigte zum Beispiel Maruv zu einer politischen Aussage und fragte sie offen, ob die Krim ihrer Meinung nach zur Ukraine gehörte. Das Ukrainische Publikum hätte sicher anders gevotet, wenn Maruv geantwortet hätte, dass die Krim eindeutig zu Russland gehöre. Was blieb ihr anderes übrig als ein vorsichtiges „Ja“.

Für die ukrainische Show sicher ein schöner Moment, für Maruvs Musikkarriere, die natürlich ein großes Interesse daran hat, ihre Musik auch in Russland an den Markt zu bringen im höchsten Maße schädlich. Diese hatte deswegen auch schon einige Termine in Russland gebucht. Das sorgte schon im Vorfeld für Ärger, der Chefredakteur der Musikzeitschrift Veslo, Alexander Yagolnik bezeichnete auch andere Teilnehmer des Vidmir als sogenannte „Raffiots“, also Künstler, die in Russland Konzerte geben und wies darauf hin, dass es bald ein Gesetz in der Ukraine geben würde, in der bei Auftritten von Raffiots zukünftig eine Einblendung erfolgen soll mit dem Text „Dieser Künstler tourt im Agressorstaat“. Kaum ausgesprochen meldet sich gleich mal der ukrainische Vizeministerpräsident Wjatcheslaw Kyrylenko auf Twitter, dass es ja wohl ein Unding sei, wenn der Vertreter der Ukraine im Agressorstaat getourt hätte oder dies zukünftig plant.

Die UA:PBC, der Broadcaster des Vidmir sah sich daraufhin genötigt, Maruv einen Vertrag vor die Nase zu setzen, der sicher stellt, dass ihr Siegeract sich auch ausgesprochen Ukrainisch zeigt. Und bei diesem Vertrag muss es sich wohl um einen waschechten Knebelvertrag der besonderen Art gehandelt haben. Sieben Stunden verhandelten die UA:PBC und Hanna Korsun, wie MARUV mit echtem Namen heißt, dann entschied Maruv, dass sie den Vertrag nicht unterschreiben werde und nicht für die Ukraine antreten werde. Und weil dieser Vertrag eine solch bodenlose Frechheit dargestellt haben muss, stellte sie ihn danach umgehend für alle einsehbar auf Facebook ein.

Dabei hätte sie sogar noch ihr Einverständnis dafür gegeben, dass sie die Konzerte in Russland absagt. Dass sie aber nicht nur für die Ukraine hätte singen sollen, sondern auch den Status eines „Ukrainischen Botschafters“ hätte übernehmen sollen und damit ukrainische Propaganda hätte von sich geben müssen, war schon ne harte Nummer. Ein Passus, dass sie für den Fall, dass sie bei ihrem Auftritt anfängt zu improvisieren oder bei irgend einem Interview nicht genau das sagt, was man ihr vorher von Seiten der UA:PBC peinlichst genau vorgegeben hätte, ein Zuwiderhandeln gar mit einer Gebühr von satten zwei Millionen Euro bestraft hätte, brachte das Fass dann zum Überlaufen. Eine der ersten Reaktionen kam vom vorjährigen Teilnehmer der Ukraine, Melovin, welcher bestätigte, dass solch eine Strafzahlung in seinem Vertrag des Vorjahres noch nicht drin gestanden hätte.

Die UA:PBC und Korsun kamen also nicht über die ESC-Teilnahme überein, aber auch aus ihrem Plan „Dann nehmen wir halt die zweiten“ wurde nichts. Denn wohl gewarnt von diesem Knebelvertrag gaben auch „Freedom Jazz“ sehr schnell bekannt, dass sie kein Interesse hätten, die zweite Geige zu spielen. Und auch die dritte des Vidbir 2019, Kazka wiegelte keine 24 Stunden nach diesem Skandal ab und verzichtete auf eine Teilnahme. Gleichzeitig ließ der ausstrahlende TV-Sender STB verkünden, dass er schlagartig das Interesse daran verloren hätte, das Veranstaltungskonzept der UA:PBC überhaupt noch auszutragen.

Die UA:PBC versuchte danach gar nicht mehr, den viertplatzierten den Knebelvertrag aufs Auge zu drücken, sondern sagte seine Teilnahme für den ESC 2019 gleich komplett ab! Im offiziellen Statement setzten sie noch eine schöne Randnote in Richtung ukrainische Musikindustrie. So hätte es ein systemproblem mit der Musikindustrie gegeben, genauer die Verbindung mit Künstlern aus einem Agressorstaat, mit denen man bereits einen fünfjährigen Konflikt austragen würde. Während das für manche scheinbar akzeptabel wäre, wäre es für sie einfach nötig, sich an ukrainische Gesetze zu halten und daher bliebe ihnen nichts anderes übrig, als sich zurück zu ziehen.

Die EBU hat sich aus der Nummer diplomatisch raus gehalten und meinte nur, dass man nun miteinander reden würde, sie aber natürlich im Jahre 2020 willkommen wären, sie sich aber nun komplett auf den Event im Mai konzentrieren würde. Oder anders gesagt „Wir haben das zur Kenntnis genommen, leckt uns am Arsch.“ Ich persönlich kann mir tatsächlich kaum vorstellen, dass die Ukraine 2020 zum ESC zurück findet. Das ist nach der peinlichen Nummer rund um die russische Teilnehmerin Julia Smailova im Jahr 2018 schon das zweite Mal, dass die Ukrainische Judikative sich in aktiv in einen TV-Event einmischt, der unpolitisch sein will. Beim ersten Mal dankte es die EBU den Ukrainern damit, ihnen in Lissabon gleich mal den Eröffnungsact zu geben, wissend, dass damit ein Sieg für Melovin schon äußerst schwierig werden dürfte. Und jetzt dieser Knebelvertrag für eine Musikerin, die vom ukrainischen Volk trotz ihrer Konzerte in Russland gewählt wurde und nun ein wütendes Publikum zurück lässt, die im Telefonvoting sehr viel Geld dafür ausgegeben haben, dass es am Ende nun gar keinen Sieger gibt, werden von der EBU ganz sicher nicht vergessen. Wir Fans verpassen so eine ziemlich laszive Choreographie eines Auftritts, der durchaus noch einige Zeit von sich reden gemacht hätte haben können. So erhöhen sich die Chancen für solche Gruselnummern wie aus Litauen oder eben aus Deutschland.

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