Lyrik-Folter! Oder auch: Abel Tawil hat einen neuen Song

Der stete Leser meines Blogs wird sich erinnern, schon einmal hatte ich einen Bericht darüber geschrieben, wie häufig bei einem guten Radiosender Songs so wiederholt werden. Jetzt ist wieder mal ein Song in die Dauerschleife geraten, den die deutsche Kommerzindustrie aus der tiefsten Ecke der Hölle hervorgeholt hat und nun im Schnitt alle vier bis fünf Stunden den Hörer vor die Wahl stellt, entweder umzuschalten oder sich mit einem spitzen Gegenstand das Trommelfell auszustechen. Und wie so häufig verdanken wir das dem einstigen Ich + Ich-Frontmann Adel Tawil.

Es geht dabei um das 4 Minuten und 7 Sekunden lange Manifest der Hörerverdummung „So schön anders“. Der Text ist so kriminell schlecht, dass ich nicht anders kann, als darüber zu bloggen.

Vorab, es ist kaum vorstellbar, aber der folgende Text benötigte gleich sechs Komponisten. Genauer gesagt neben Adel Tawil noch Johannes Arzberger, Andreas Herbig, Sebastian Kirchner, Patrick Salmy und Mario Wesser. Um auf die Qualifikation dieser Leute noch einzugehen, Arzberger hat Jazz Piano am Prins-Claus-Coversatorium in Groningen studiert, schreibt u.a. für Joe Delaney und Udo Lindenberg oder ist und u.a. als Pianist von Clueso oder Max Mutzke unterwegs. Andreas Herbig hat bereits zwei Echos für seine Texte erhalten, schreibt für Juli, Deichkind, Reamonn, Heppner, Andreas Bourani oder Culcha Candela… und eben Abel Tawil. Zudem steckt er hinter dem Udo Lindenberg-Comeback. Auch Kirchner ist seit 2004 bereits mit Ich & Ich unterwegs und entsprechend ein alter Hase im Musikgeschäft. Man darf hier also von Fachkompetenz sprechen. Und das kommt dabei raus:

Du baust ein Haus, ich geh‘ wandern, du schüttest den Grund, ich werf‘ den Anker,
Du setzt weiße Tauben auf meine Panzer, du bist wie ich, nur so schön anders
Scheint die Sonne, geb‘ ich dir Schatten, du gibst mir in der Nacht dein Licht
Wir setzen uns Kopfhörer auf, und steh’n auf Hochhäusern drauf
Bist du müde, deck‘ ich dich zu, reg‘ ich mich auf, hältst du mich fest
Wir bauen uns ’ne Mondbasis auf, und fliegen noch weiter hinaus

Du bist wie ich, Nur so schön anders
Du bist wie ich, Nur so schön anders

Du bist der Dschungel für meinen Panther, du träumst von Sylt, ich bring‘ dich nach Sri Lanka
Vor deinen Freiheitskämpfern steh‘ ich da wie ein Beamter, du bist wie ich, nur so schön anders

Scheint die Sonne, geb‘ ich dir Schatten, du gibst mir in der Nacht dein Licht
Wir setzen uns Kopfhörer auf, und steh’n auf Hochhäusern drauf
Bist du müde, deck‘ ich dich zu, reg‘ ich mich auf, hältst du mich fest
Wir bauen uns ’ne Mondbasis auf und fliegen noch weiter hinaus

Du bist wie ich, nur so schön anders
Du bist wie ich, nur so schön anders
Wir rasen im ganz großen Wagen, über die Milchstraße am Urknall vorbei
Wir leuchten wie Sterne in unendlicher Ferne, durch kosmischen Nebel bis zum Anfang der Zeit
Du bist wie ich, so schön anders…

Ich muss jetzt erstmal etwas Luft holen und das ganze Wirken lassen. Oh mein Gott. Diese Scheiße muss ich für die nächsten Monate also zwei bis dreimal pro Tag ertragen. Während ich also einer ehrlichen Arbeit nachgehe, gibt es da Menschen wie Tawil, der hochtrabend davon berichtet, dass er zur Inspiration in die Städte Los Angeles und New York gereist ist, um so eine gute Energie zu erhalten durch deren „Just do it“-Spirit. Weil das aber nicht funktioniert hätte, hätte er danach noch einen Freund in Hawaii besucht und erst dort mit der Arbeit am Album beginnen können. Zudem wäre die Verarbeitung eines Schicksalsschlages hilfreich gewesen, weil er nach seinem Hawaii-Trip noch Urlaub in Ägypten gemacht hätte und sich dort im Swimmingpool den Kopf angeschlagen hätte. Durch die erlittene Verletzung mussten sie diesen Superstar gleich von Ägypten gleich in die Berliner Charité fliegen. Aber es wäre inspirierend gewesen. Fassen wir nochmal zusammen, für so einen Text braucht Tawil drei Anläufe plus einen längeren Krankenhausaufenthalt und entsprechend Zeit. Ich will nicht wissen, wie der Text nach dem ersten Versuch ausgesehen hätte.

Der Knabe ist ja kein Ersttäter, was bitterbös miese Texte betrifft, wir alle kennen noch Dinge wie den Hamster am Fenster. Aber wie man bei sowas behaupten kann, dass er mit solchen Texten Schicksalsschläge verarbeiten wolle, der ist entweder ein dreister Lügner oder völlig aus dieser Welt getreten. Der Text hat – im Popgewerbe durchaus nicht ungewöhnlich – keinerlei Content. Die Grundaussage ist ein simples „Ich mag dich“. Und das ganze wird dargestellt mit einer billigen Plattitüde nach der anderen. Das Ding ist so unspezifisch, dass man schon sein halbes Leben in einem dunklen Kellerchen verbracht haben müsste, um nicht den Eindruck zu bekommen, etwas ähnliches schon mal gefühlt zu haben. Dann in den Medien zu behaupten „er wolle Lieder singen, die man „im Bauch fühlen kann, Lieder die ganz er seien.“… da schaudert es mir.

Wenn man dann noch schaut, welche Schüttelreime da auf einen prasseln… man braucht also ein Studium, um die Wörter Wandern, Anker, Panzer und anders zu reimen? Really? Und dann diese Stilblüten wie „Scheint die Sonne, geb ich dir Schatten.“ Oder „Bist du müde, deck ich dich zu“… Uuuuh, das ist deep. Und kaum, dass man sich an sowas zu gewöhnen versucht, kommt mitten drin so ein völlig aus der Art schlagender Satz wie „Wir setzen uns Kopfhörer auf und stehn auf Hochhäusern drauf.“ Das ist nicht mal eine Allegorie. Sieht man davon ab, dass ein Fünfjähriger in der Grundschule schon die Wörter „Auf“ und „drauf“ reimen würde, aber den Rest des Satzes bei dem Content sicher sinnvoller füllen könnte, ist die Bedeutung der Zweisamkeit in der Bewegung des „Kopfhörer aufsetzens“ ein solches Mysterium, dass ich mich richtig dumm fühlen muss, den tieferen Sinn hinter dem Kopfhörerunterstützten stehen auf Hochhäusern nicht zu begreifen. Vielleicht sollte ich demnächst mal ne Frau anbaggern mit den Worten „Hey, lass uns auf Hochhäuser gehen und Kopfhörer aufsetzen.“ Was bei Adel Tawil klappt, kann ja nicht falsch sein. Die Frau wird sich bestimmt sofort die Brust entblößen.

Auch dass es ein Studium braucht für den Reim „Panther – Sri Lanka – Beamter“ lässt mich den Schmerzpunkt mühelos erreichen. Dass einen auf die Endung „auf“ zudem nicht mehr viel mehr einfällt als „hinaus“ lässt mich auch wieder an meine Kindergartenzeit zurück denken. Dass in der Bridge dann aber auch noch ein Angriff auf die Astrophysik angegangen wird, bringt das Fass zum Überlaufen. „Wir rasen im ganz großen Wagen über die Milchstraße am Urknall vorbei. Wir leuchten wie die Sterne in unendlicher Ferne durch kosmischen Nebel bis zum Anfang der Zeit.“

Es gibt den großen Wagen und den kleinen Wagen. Es gibt keinen ganz großen Wagen. Man reist durch die Milchstraße, aber nicht über die Milchstraße. Der Urknall war schon, an dem kann man nicht vorbei reisen, weil er einen zeitlichen, geschichtlichen Moment beschreibt. Und Sterne leuchten nicht sonderlich, wenn sie sich hinter einem kosmischen Nebel befinden. Weil – da ist ja Nebel! Und am Anfang der Zeit ist der Urknall. Da waren keine Sterne, die hätten leuchten können. Sollte der Künstler an der Stelle sein Wissen angedeutet haben wollen, dass das Licht der Sterne in dem Moment, an dem es an der Erde angekommen ist bereits mehrere Millionen Jahre alt ist, hätte er das nicht schlechter verpacken können. Wie auch immer, den Anfang der Zeit am Firmament würden wir alle mit Sicherheit etwas anders wahrnehmen. Wie auch immer, als Symbol für „Du bist wie ich, so schön anders“ sollte Tawil besser die Finger von der Astrophysik nehmen, da scheint keiner dieser sechs Experten eine Ahnung von zu haben.

Zum Schluss, ich fühle mich wirklich sehr an den Moment erinnert, wo Jan Böhmermann für das ZDF-Magazin Neo mal die Echo-Verleihung auseinander genommen hat und einen Song von Affen hat texten lassen. Die hätten das nicht schlechter hin bekommen. Doch leider kommt man mit sowas ja durch. Ob nun Helene Fischer, Max Giesinger, Mark Foster, Tim Benzko oder Vincent Wise, der deutsche Musikmarkt ist voll mit diesen bedeutungslosen Texten für Totalverblödete. Und solange so etwas nicht hinterfragt und weiter ohne irgendein Gespür für Qualität gekauft wird, wird das leider so bleiben. Es wird wirklich Zeit, dass ich mir ein Radio mit Uhranzeige UND USB-Anschluss zulege. Dann muss ich mich über „So schön anders“ nicht mehr aufregen. Doch bis dahin mache ich das Beste draus. Ich blogge darüber.

Euer Dannimax

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